Gefangen im Kapitalismus Veranstaltungsreihe zu Gefängnis und Armut

Gefängnisstrafen lösen keine sozialen Konflikte. Vielmehr entledigt sich die Gesellschaft ihrer Konflikte vermeintlich dadurch, dass sie bestimmte Menschen einfach wegsperrt und damit bestehende soziale Ungleichheiten reproduziert und verstärkt.

In unser aktuellen Veranstaltungsreihe wollen wir die vielschichtigen Verflechtungen von Armut und Gefängnis im neoliberalen Kapitalismus in den Blick nehmen. Armut hat eine strafverschärfende Wirkung, die sich besonders deutlich bei der Umwandlung von Geldstrafen in Ersatzfreiheitsstrafen zeigt. Aber auch überproportional viele People of Color müssen Haftstrafen absitzen. Welche gesellschaftlichen Verhältnisse und juristischen Vorgehensweisen führen zu dieser Auswahl? Mit einer Gleichheit aller vor dem Gesetz ist es offenbar nicht so weit her.

Termine

Mo 20.05.19 – 19 Uhr // Museum des Kapitalismus Köpenicker Str. 172, 10997 Berlin
Gefangen im Kapitalismus – Überwachen und Ausschließen von Armen
mit Helga Cremer-Schäfer und Initiative „Entknastung!“ bei der Naturfreundejugend Berlin

Fr 07.06.19 – 19 Uhr // Museum des Kapitalismus Köpenicker Str. 172, 10997 Berlin
„Bestrafung von Armut – Ersatzfreiheitsstrafen & Strafbefehlsverfahren
mit Frank Wilde und Henriette Scharnhorst

Mi 19.06.19 – 19 Uhr // Museum des Kapitalismus Köpenicker Str. 172, 10997 Berlin
Was tun?! Organisierung gegen Ausbeutung im Knast
mit der Soligruppe der GG/BO Berlin

Veranstaltungen

Gefangen im Kapitalismus – Überwachen und Ausschließen von Armen
mit Helga Cremer-Schäfer und Initiative „Entknastung!“ bei der Naturfreundejugend Berlin

Neoliberale Produktionsweise und Populismus als herrschende Politikform sorgen dafür, dass sich Sicherheitspolitik und besonders Kriminalitätsdiskurse wieder verstärkt materialisieren: Das Ein- und Ausschließen in Gefängnissen und anderen geschlossenen Anstalten wird als Selbstverständlichkeit und unkontrollierter als je praktiziert. Wie  Aus- und Wegschliessen von Außenseitern, Armen und Fremden „ohne Schuldgefühl“ sich mit neoliberaler „Arbeitsmoral“ und Politik-Form verbindet und durch eine Kultur der Punitivität (und Ideologie) legitimiert wird, beschreibt Helga Cremer-Schäfer in ihrem Vortrag.

Armut wirkt strafverschärfend, das heißt, wer arm ist, landet eher im Gefängnis als eine wohlhabende Person. Bei dieser Aussage denken viele vermutlich zunächst daran, dass mehr verfügbares Geld eine bessere anwaltliche Verteidigung ermöglicht. Zum Beispiel wird Fahren ohne Fahrschein durch Armut begünstigt und kann im Vergleich zu anderen geringfügigen Vergehen wie beispielsweise Falschparken auch härter bestraft werden – nämlich mit einer Gefängnisstrafe. In dem Vortrag der Initiative „Entknastung!“ wird anhand des Begriffs der Delinquenz nachgezeichnet, wie bestimmte Gruppen strukturell vom Rechtsapparat benachteiligt werden und warum sich trotz der offensichtlichen Ungerechtigkeit bisher nichts an dem Zustand geändert hat.

Helga Cremer-Schäfer ist Soziologin und Kriminologin (Frankfurt/Main), die Initiative „Entknastung!“ bei der Naturfreundejugend Berlin plant gerade eine Kampagne zur Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe


„Bestrafung von Armut – Ersatzfreiheitsstrafen & Strafbefehlsverfahren
mit Frank Wilde und Henriette Scharnhorst

Jedes Jahr verbüßen geschätzt über 40.000 Personen in Deutschland eine Freiheitsstrafe, obwohl sie eigentlich „nur“ zu einer Geldstrafe verurteilt wurden. Zur Inhaftierung kommt es, weil die finanziellen Mittel zur Zahlung der Geldstrafe nicht ausreichend vorhanden sind. Armut führt so zu einer strafrechtlich nicht zu begründenden härteren Bestrafung in Form der Ersatzfreiheitsstrafe. Die Kritik an dieser Praxis ist alt und Reformvorschläge liegen seit langem vor. Der Beitrag von Frank Wilde wird die Geschichte dieser Debatte kurz nachzeichnen, um dann Vorschläge für aktuelle Reformen zu diskutieren.

Auch im Strafverfahren werden Menschen mit geringen finanziellen Möglichkeiten systematisch schlechter gestellt. Grundsätzlich sind ohne finanzielle Mittel der Zugang zum Recht und hierbei insbesondere die Inanspruchnahme von rechtlichem Beistand häufig wesentlich erschwert. Ersatzfreiheitsstrafen sind beispielsweise häufig darauf zurück zu führen, dass es den Betroffenen nicht gelingt, mit der zuständigen Staatsanwaltschaft eine für sie leistbare Ratenzahlung zu vereinbaren. Aber auch in Strafbefehlsverfahren liegt die Vermutung nahe, dass Strafbefehle – d.h. Urteile ohne mündliche Verhandlung – vermehrt dort erlassen werden, wo von Seiten der Strafverfolgungsbehörden mit weniger (anwaltlichem) Widerstand gerechnet werden muss. Der Beitrag von Henriette Scharnhorst soll anhand dieser beiden Beispiel kurz die Erfahrungen im Zusammenhang von Armut und Strafverfolgung in der anwaltlichen Praxis skizzieren.

Frank Wilde ist Sozialpädagoge in der freien Straffälligen- und Wohnungslosenhilfe in Berlin, verschiedene Veröffentlichungen zum Thema Armut und Strafe.
Henriette Scharnhorst ist seit 2015 Rechtsanwältin in Berlin im Bereich Strafverteidigung, Strafvollstreckung und Strafvollzug, Mitglied beim RAV.


Was tun?! Organisierung gegen Ausbeutung im Knast
mit der Soligruppe der GG/BO Berlin

Im Mai 2014 gründete sich in der JVA Tegel die Gefangenen-Gewerkschaft. Mit der Leitidee, Spaltungslinien zu überwinden und gemeinsam Kämpfe zu führen, wurde sich auf Minimalforderungen geeinigt: Auszahlung des Mindestlohns und die Einbeziehung in die Rentenversicherung aller Gefangener. Mit diesen Kernforderungen kämpfen Gefangene seit 5 Jahren. In einem Vortrag der Soligruppe Berlin der GG/BO sollen diese Kämpfe und ebenfalls die Arbeitsbedingungen hinter Gittern vorgestellt werden.

Die Soligruppe Berlin der GG/BO ist ein Zusammenschluss von Menschen, welche den Knast ablehnen und auf unterschiedliche Art und Weise versuchen, gegen ihn zu kämpfen. Sie unterstützt Gefangene bei ihren Kämpfen für ihre Rechte.


Die Veranstaltungen finden im Museum des Kapitalismus in der Köpenicker Str. 172, 10997 Berlin statt. Der Raum ist barrierefrei. Die Vorträge werden in deutscher Lautsprache über eine Lautsprecheranlage gehalten.