Beipackzettel - Vorträge
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Di 9.6.09 Thema: Die neue/alte Frau
Di 16.6.09 Thema: Die Zukunft des Menschen als Organersatzteillager
Di 23.6.09 Thema: Work, Sex & Drugs
Di 30.6.09 Thema: Exklusionen und die Domestizierung des (proletarischen) Monsters
Centrum
Wo?
Vorträge jeweils 20 Uhr
im Centrum (Kreuzberg)
Cuvrystr 13-14
(U-Bhf Schlesisches Tor)
barrierefrei
Filme jeweils 20 Uhr
in der Erreichbar
Reichenberger Str 63a
2.Hinterhof
im Keller
(leider nicht barrierefrei)
Texte
Do 4.6.09 - Centrum (Kreuzberg) - 20 Uhr
Die Veranstaltung wird in Gebärdensprache gedolmetscht
Kranke Karten?
Was steckt hinter der Gesundheitskarte? neu: Texte zu diesem Vortrag!
Wolfgang Linder
Mit hohem finanziellem, administrativem und publizistischem Aufwand wollen Bundesregierung, Krankenkassen und Telematikindustrie die elektronische Gesundheitskarte durchsetzen. In 2009 soll es flächendeckend und verbindlich losgehen, angeblich zum Nutzen einer effektiveren medizinischen Versorgung der Patient_innen. Der Pferdefuß aber ist: Es werden nicht nur Chipkarten an Patient_innen und Ärzt_innen ausgegeben, zugleich wird eine zentralistische Telematikinfrastruktur für den gesamten Gesundheitsbereich aufgebaut. Ziel ist es, alle Behandlungsdaten, die bisher in Arztpraxen und Krankenhäusern dokumentiert sind, auf zentralen Servern zu speichern. Die vielfältigen Interessen an diesem Datenschatz lassen sich vorstellen. Zwar sind derzeit gesetzliche Schranken zum Schutz vor Zugriffen zu administrativen und kommerziellen Zwecken eingebaut. Diese aber kann der Gesetzgeber jederzeit abbauen, wie dies in den letzten zwanzig Jahren fortlaufend vorgeführt wurde.
Wolfgang Linder, Jurist, ehem. stellvertretender Bremischer Landesdatenschutzbeauftragter, u.a. zuständig für den Gesundheitsdatenschutz, Mitglied des Komitees für Grundrechte und Demokratie
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Do 11.6.09 - Centrum (Kreuzberg) - 20 Uhr
Körper versus Demographie
Von den Ambivalenzen der Kategorie Geschlecht in der Biopolitik
Susanne Schultz
Die Kritik der Biopolitik, sei es im Kontext moderner Biotechnologien, sei es verstanden als Verwaltung von Bevölkerungen - kann sich auf eine lange Geschichte feministischer Theoriebildung beziehen. Politische Sprengkraft entwickelte diese Kritik aber immer dann, wenn sie die Kategorie Geschlecht nicht isoliert behandelte. Für eine Kritik demographischen Wissens ebenso wie eines "Qualitätsmanagements" von Bevölkerungen ist es nötig, mehrere Ebenen gesellschaftlicher Hierarchisierung miteinander zu verbinden. Wie sind menschenökonomische, eugenische und rassistische Perspektiven mit einem Management des "reproduktiven Verhaltens" verbunden, das geschlechterpolitisch organisiert ist? An den Beispielen Pränataldiagnostik und aktueller Geburtenpolitik in Deutschland soll dies diskutiert werden.
Susanne Schultz arbeitet beim Gen-ethischen Netzwerk als Redakteurin für Humangenetik, Autorin des Buches "Hegemonie — Gouvernementalität — Biomacht: Reproduktive Risiken und die Transformation internationaler Bevölkerungspolitik"
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Do 18.6.09 - Centrum (Kreuzberg) - 20 Uhr
Gen-Krimi
Zur Kritik biologischer Prävention im Strafrecht neu: Texte zu diesem Vortrag!
Stefan Krauth und Tobias Singelnstein
Studierende der Rechtswissenschaft lernten einst früh: keine Strafe ohne Schuld, keine Strafe ohne Gesetz. Untertanen sollten ihr Verhalten am staatlichen Befehl ausrichten und erst der hinreichend bewiesene Verstoß gegen das Verbot rechtfertigt die Strafe. Kontrolle wird hierbei nicht durch unmittelbaren äußeren Zwang, sondern durch die je eigenen Motive der Handelnden gewonnen - und somit effizient.
Demgegenüber basiert Prävention auf der Logik der Wahrscheinlichkeit. Bestraft wird danach nicht, wer einer rechtswidrigen Handlung überführt wird, sondern wer als gefährlich gilt. Zur Abwehr drohender Gefahren werden nicht nur Platzverweise erteilt und DNA Proben genommen, auch werden Menschen aufgrund einer Gefahrenprognose für unbestimmte Zeit ‚weggesperrt‘. Die Referenten kritisieren das Präventionsdenken im Strafrecht am Beispiel der gegenwärtigen Lieblingsspielzeuge biologischer Verbrechenskontrolle: der DNA-Spur und der Hirnforschung. Der formellen Subsumtion des Menschen unter das Strafrecht folgt die reelle.
Tobias Singelnstein verfasste (zusammen mit Peer Stolle): Die Sicherheitsgesellschaft. Soziale Kontrolle im 21. Jahrhundert (2.Auflage:2008) und Stefan Krauth: Die Hirnforschung und der gefährliche Mensch. Zu den Gefahren einer Neuauflage der biologischen Kriminologie (2008).
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Do 25.6.09 - Centrum (Kreuzberg) - 20 Uhr
Medizinisierung als Selbstentmächtigung? - am Beispiel von ADHS
In wissenschaftlichen Diskursen wird eine gesunde/befriedigende Entwicklung (nicht nur bei Kindern) wie selbstverständlich an der Erfüllung von durchschnittlichen Alters- und Geschlechtsanforderungen bemessen. Für Abweichungen von diesen Normen wurde im Zuge der technischen Entwicklung zunehmend nach medikamentösen Behandlungsmethoden und organischen Ursachen gesucht.
Nonkonformes Verhalten als Krankheit zu begreifen und medikamentös (und ergänzend psychologisch) kurieren zu wollen – obwohl Beweise für organische Ursachen bislang fehlen –, wird unter den Stichworten "Medizinisierung" oder "Pathologisierung" diskutiert. Dieser Umgang mit Problemen scheint einige Betroffene zu entlasten, da ihnen Techniken an die Hand gegeben werden, mit denen sie bzw. ihre Kinder unter fremdbestimmten Lebensbedingungen verwertbar werden/bleiben können. Aus dem Blick gerät dabei, dass Menschen – kooperativ – auch ihre Lebensbedingungen gemäß ihren Lebens- und Glücksvorstellungen verändern können.
Ich werde am Beispiel der Diagnose ADHS darstellen, wie in der wissenschaftlichen (Ratgeber)literatur eine Verständigung über problematische Lebensbedingungen unterbunden wird und Unterstützung von Kindern einseitig als Hilfe zur Anpassung an Normen verstanden und legitimiert wird.
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Do 2.7.09 - Centrum (Kreuzberg) - 20 Uhr
Die Veranstaltung wird in Gebärdensprache gedolmetscht
Gesundheit - Migration - Krankheit - Tourismus
Drei Beiträge zur politischen Logik der Infektion
ak medizinkritik
Aids kommt aus Afrika? Tuberkulose aus Osteuropa? Seuchendiskurse verweisen weniger auf eine empirische Realität als auf sich selbst und die vorherrschende medikale Kultur. Die im seuchenpolizeilichen Diskurs behauptete signifikante Kopplung bestimmter Menschengruppen mit bestimmten Seuchen gilt es kritisch zu beleuchten. Unsere Gruppe setzt sich mit den verschiedenen Facetten von Medizinkritik und Bevölkerungspolitik auseinander. Wir wollen mit euch über die Dimensionen einer gegenseitigen Stabilisierung von Migrationsregime, rassistischen Bildern in der Medizin und Umbau des Zugangs zum Gesundheitssystem diskutieren.
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Do 9.7.09 - Centrum (Kreuzberg) - 20 Uhr
"Wenn ich lustlos bin, ist das schon gefährlich"
Die Sorge um Depressivität als neoliberale Regierungstechnologie
Ingar Abels
--- fällt leider aus! ---
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist der Ansicht, dass Depressionen bis 2020 zur zweithäufigsten Krankheit in den westlichen Industriestaaten werden könnten. Depressionen sind stark in den Fokus der medialen Aufmerksamkeit geraten und depressive Symptome sind lesbar und dechiffrierbar geworden. Viele Bewohner_innen der westlichen Gesellschaften fragen sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Bin ich depressiv? Gleichzeitig ist Depressionsbekämpfung für die deutsche Bundesregierung seit 2005 "nationales Gesundheitsziel" (www.gesundheitsziele.de).
Im Vortrag wird es um die diskursiven Konturen im Sprechen über Depressionen gehen. Die Sorge um Depressivität wird dabei als Verweis auf die veränderten Anforderungen an Subjekte im Neoliberalismus und auf die biopolitischen Strategien ihrer Regierung gelesen.
Ingar Abels studierte Sozialwissenschaften an der Humboldt Universität, arbeitete vor allem zu ‚Psychoanalyse und Gesellschaft’ und bereitet derzeit ihre Promotion vor.
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Do 16.7.09 - Centrum (Kreuzberg) - 20 Uhr
Gebärzwang und Gebärstreik
Die Wiederkehr der Demographie in der neuen Familienpolitik
Jörg Nowak
Die seit dem deutschen Faschismus als Herrschaftswissen diskreditierte Demographie hat in der Debatte um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen ein spektakuläres Comeback gefeiert: Eine niedrige Geburtenrate verursache absehbar Fachkräftemangel und ein niedrigeres Wirtschaftswachstum für die nächsten 20 Jahre. Zusätzlich wurde Angst vor der Vermehrung einer "dummen Unterklasse" geschürt, da gut ausgebildete Frauen eine besonders niedrige Geburtenrate aufweisen würden. In der Familienpolitik wurde diese Diagnose zum Anlass genommen, gut qualifizierten Müttern mit dem Elterngeld die Mutterschaft zu erleichtern. Dabei wurde eine Umverteilung von wenig verdienenden zu gut verdienenden Eltern vorgenommen.
Im Vortrag soll gezeigt werden, wie die Geburtenrate zum legitimen Objekt der politischen Diskussion wurde und wie sie mit ökonomischen Wachstumsstrategien, Umverteilung von unten nach oben, der Verabschiedung vom Konzept des sozialen Aufstiegs und nicht zuletzt mit feministischen Forderungen nach gleichberechtigter Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben verknüpft wurde.
Jörg Nowak ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Kassel und hat zu marxistischer und feministischer Staatstheorie promoviert.
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Do 23.7.09 - Centrum (Kreuzberg) - 20 Uhr
Electronic Monitoring
Aggregatzustände einer Überwachungspraxis
Sven Bergmann
Die "Spiderman-Solution", so genannt, weil ein Richter aus New Mexico Anfang der 1980er Jahre angeblich durch einen Comic zu ihrer Erfindung inspiriert wurde, erobert langsam aber sicher auch den europäischen Markt. Seit Mai 2000 wird in einem hessischen Pilotprojekt das international erfolgreiche Produkt Electronic Monitoring (EM), hier als Elektronische Fußfessel (EFF) benannt, im Bereich der Bewährungshilfe ausgetestet und angewandt. Der meist am Unterschenkel eines Überwachten angebrachte Sender (die "Fußfessel") ist der am meisten ins Auge fallende Teil des Artefakts, das durch Deleuzes Kontrollgesellschafts-These als Metapher so prominent geworden ist. Im Gegensatz zur Einschließung in ein Gefängnis kontrolliert und steuert hier die Institution aus der Distanz: An- und Abwesenheiten in einem Zuhause werden kontrolliert und "trainiert" – dabei wird der Körper des Verurteilen in informatische Daten übersetzt. Das Produkt Electronic Monitoring orientiert sich zwar an der primären Nachfrage durch staatliche Strafverfolgungsbehörden, allerdings sehen sich die Hersteller dieses sozio-technischen Systems auch zunehmend in der Rolle der Bereitstellung eines umfassenden Sicherheitskonzeptes und der dazugehörigen Ideologie. Ausgehend von einer empirischen Forschung in Hessen soll die Maßnahme in Genese, historischen Vorbildern, konkreter Anwendung, materiellen wie diskursiven Effekten und möglichen Zukünften dargestellt und diskutiert werden.
Sven Bergmann ist Kulturanthropologe, Stipendiat im Graduiertenkolleg "Geschlecht als Wissenskategorie" und promoviert zur Transnationalisierung von Reproduktionstechnologien.
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Do 30.7.09 - Centrum (Kreuzberg) - 20 Uhr
Prävention - Aporien einer Verheißung
mit Buchvorstellung "Kontrollverluste"
Peter Ullrich
Prävention ist heutzutage allgegenwärtig. Gemäß der Volksweisheit „Vorbeugen ist besser als Heilen“ prägt sie die unterschiedlichsten Bereiche unserer Gesellschaft. Ob als Videoüberwachung zur Stärkung innerer Sicherheit, als innovative medizinisch Vorsorgeuntersuchung oder moderne Managementmethode wird sie als zukunftsträchtiges Prinzip gepriesen. Prävention wird dabei immer mehr eine Selbstverständlichkeit staatlichen, unternehmerischen und mehr und mehr auch individuellen Handelns. Anhand von einigen Beispielen aus dem Bereich Überwachung und v.a. der Medizin soll gezeigt werden, wie der unsägliche Präventivgeist unser Denken und Handeln bestimmt und nicht selten verwirrt. Denn von den Heilsversprechen der verschiedenen Screenings und Vorsorgeuntersuchungen bleibt bei genauerem Hinsehen oft wenig übrig. Die Folgen für Sozialisierungs- und Subjektivierungsprozesse jedoch sind enorm.
Peter Ullrich, Kulturwissenschaftler/Soziologe an der Universität Leipzig, hat u.a. zusammen mit der "Leipziger Kamera. Initiative gegen Überwachung" das Buch "Kontrollverluste - Interventionen gegen Überwachung" herausgegeben.
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