Hintergründe / Der Entscheidungsprozess zum Otto-Katalog

Parlamentarische Demokratie in der Praxis -

Oder der Beweis, dass Gesetzesgebung doch nicht so langsam ist


Schnell musste eine Lösung her, nach dem 11. September. Die Bundesregierung hat mit den "Terrorismusbekämpfungsgesetzen" einen klaren Weg beschritten: uneingeschränkt wird der Kampf mit dem Terror aufgenommen, sei es mit Soldaten oder, vor der Haustür, mit Begriffen wie "Innere Sicherheit". Doch wird hüben wie drüben Wirkung mit Ursache verwechselt. Und auf dem politischen Parkett geschehen, wie so oft, wundersame Dinge.

"Wankelmütige und Zweifelträger" sollen schweigen, es "müssen Taten folgen", so hörte sich Otto Schily's Brandrede vor dem Bundestag kurz nach den Anschlägen an. Doch ist die Gesetzesgebung bekanntlich kein schnelles Verfahren und da überrascht es doch, wie es dem Bundesinnenministerium innerhalb von drei Monaten gelang, ein üppiges und grundrechtlich fragwürdiges Gesetzespaket durch die Instanzen zu prügeln.

Der erste Teil des "Gesetzesentwurf[es] zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus" wurde schon verabschiedet, als Medien, Bürgerrechtler und Intellektuelle noch ihren Schock verdauten und über zu erwartende Folgen spekulierten. Im sogenannten "Sicherheitspaket I" finden sich primär eine Ausweitung der finanziellen Unterstützung von Institutionen wie dem BKA und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (immerhin 500 Millionen DM), aber auch bekannte Forderungen, die bereits mit den Verhandlungen rund um den Islamistenführer und "Kalifen von Köln", Mehtin Kaplan, diskutiert wurden. Es handelt sich dabei um eine Änderung des Vereinsgesetzes, der Aufhebung des sogenannten Religionsprivilegs, nachdem "verfassungsfeindliche" Vereine, welche die "freiheitlich demokratische Grundordnung" der Bundesrepublik in Frage stellen, verboten werden können. Ein Entwurf, dem das Prädikat "Aktionismus" durchaus steht, wenn man die Interpretation bereits bestehender Gesetze durch das Bundesverfassungsgericht kennt. Im Rahmen der "Kaplan-Verhandlungen" forderte das zuständige Gericht eine Änderung in der Strafverfolgung und eine Stärkung der Zusammenarbeit von Bundes- und Landesorganen, um so dem Problem potentiell gefährlicher Vereine Herr zu werden. Ein Verbot solcher Vereine sollte allerdings auch ohne Änderung des Vereinsgesetzes möglich sein. Das Bundesverfassungsgericht teilt diese Annahme.
Der Versuch, das Paket möglichst schnell zu verabschieden, hinterlies Spuren: Der geplante § 129 b des Strafgesetzbuches, der eine "Ausweitung der Strafbarkeit der Unterstützung und Anwerbung von Mitgliedern terroristischer Vereinigungen im Ausland" vorsah, scheiterte bereits an koalitionsinternen Gesprächen, trotz Druck der EU, die, im Hinblick auf die IRA in Nordirland und die wieder verstärkt operierende ETA im spanischen Baskenland, eine Verschärfung ausdrücklich gewünscht hat. Je nach der Definition von Terror hätte nach diesem Paragrafen Nelson Mandela, sobald er den Geltungsbereich deutscher Gesetze betritt, als Terrorist verhaftet werden können. Nach den Anschlägen auf Djerba sah sich die Bundesregierung wieder in Zugzwang und der Bundestag verabschiedete den Paragraphen am 26. April 2002.

Doch ein Gesetzesentwurf reichte nicht, um den vermeintlich gesteigerten Sicherheitsbedürfniss der Menschen in der Bundesrepublik gerecht zu werden. Aus vielen neuen und besonders alten, nicht grundlos abgelehnten, Entwürfen (z.B. einer Ausweitung der Schleierfahndung, also verdachtloser Kontrollen, durch den BGS - in ganz Schlesig-Holstein darf dieser nun aktiv werden oder Sprachtests für Asylbewerber, einer Forderung menschenfeindlicher Natur - mehr unter Die Otto-Kataloge), wurde schnell ein neues Paket geschnürt und auf den Weg gebracht, um möglichst noch vor Jahresende, vom Bundespräsidenten unterschrieben, Gesetzeskraft zu erreichen.
Als Referentenentwurf erreichte das "Sicherheitspaket II" Flüchtlings-, Anwalts-, und Bürgerrechtsverbände und stieß dort auf scharfe Kritik; nicht nur inhaltlicher Natur; auch die Arbeitsweise des Bundesministeriums des Inneren wurde kritisiert: Oft werden solche Entwürfe in einem Gespräch abgestimmt, diesmal war jedoch kein Dialog in Sicht.
Nachdem die Medien ein Forum boten und somit das Thema in eine breitere öffentlichkeit lenkten, und Kritik an dem Entwurf vom Bundesbeauftragten für Datenschutz, Joachim Jacob, und aus dem Bundesministerium der Justiz laut wurde, kam es am 8. November 2001 zu Koalitionsgesprächen zwischen den Regierungsparteien, in denen der Entwurf überarbeitet worden ist. Die als "Verhandlungserfolg der Grünen" ausgelegten änderungen am Gesetzesentwurf entpuppten sich jedoch als harmlose Umformulierungen (z.B. aus "verdachtslose Fahndung" wurde die "Bevollmächtigung zur Datenerhebung"). Doch das Paket war nun reif und ein Kabinettsentwurf.
In der Regel werden Kabinettsentwürfe, die im Bundesrat zustimmungspflichtig sind, zuerst dort in Fachausschüssen und Plenum debattiert und gehen mit einem Votum zurück an die Bundesregierung. Diese kommentiert den Entwurf und gibt sie für das weitere Gesetzesgebungsverfahren an den Bundestag. Natürlich handelt es sich um eine zeitaufwendige Methode, und da das Jahresende nahte und niemand in der Bundesregierung noch ein Quartal warten wollte, brachten die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen einen wortidentischen Entwurf im Bundestag ein, um dort zeitgleich zum Bundesrat das "Sicherheitspaket II" debattieren zu können.
Bereits jetzt zeichnete sich eine grosse Einigkeit zwischen Regierungs- und Unionsfraktionen ab. Keine der drei beantragte im federführenden Innenausschuss des Bundestages eine öffentliche Anhörung zu einem fragwürdigen Gesetzesentwurf (bei der die Fraktionen erst gemeinsam, dann nach Fraktionsstärke, Institutionen und Verbände berufen).
Am 30. November folgte, nach Antrag der Fraktionen von PDS und FDP, die öffentliche Anhörung im Innenausschuss. Auch hier kritisierten die geladenen Verbände das schnelle Vorgehen der Politik und den daraus resultierenden Mangel an Zeit - sie hatten drei Tage sich mit dem aktuellen Entwurf auseinanderzusetzen. Das "Sicherheitspaket II" selbst wurde heftigst kritisiert. Im folgenden handelten sich die innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion sogar ärger von Bundesinnenminster Schily ein, weil sie Bürgerrechtsverbände und keine Institutionen wie das Bundeskriminalamt oder das Bundesamt für Verfassungsschutz geladen hatten. Otto Schily selbst war bei der Anhörung nicht im Ausschuss.
Zeitgleich tagte eine Arbeitsgemeinschaft, an welcher der Bundesinnenminister und der Vertreter der Unionsparteien, der bayrische Innenminister Günther Beckstein, teilnahmen, um sich über den Standpunkt des Bundesrates zu einigen. Bei der Schlussabstimmung werden 32 änderungen in den Entwurf übernommen.
Am Mittwoch, dem 5. Dezember 2001 tagte das Bundeskabinett abschliessend über den Gesetzesentwurf. Nach den zahlreichen änderungen werden sich die Bundesminister nicht einig und fällen somit keinen Beschluss. Dies brachte den Zeitplan durcheinander und das Gesetz lief Gefahr, nicht vor Jahresende die Unterschrift des Bundespräsidenten zu erhalten. Denn laut der Geschäftsordnung vom Innenausschuss des Bundestages muss ein Entwurf bis zum vorhergehenden Freitag, 12 Uhr (also bis zum 7. Dezember) den Mitgliedern des Ausschusses vorliegen. Um dies zu vermeiden, handelten die innenpolitischen Sprecher der Fraktionen einen Deal aus: Der Entwurf kommt zu spät und darf dennoch im Ausschuß abgestimmt werden.
Die Mitglieder des Ausschusses erhielten am Montag, dem 10.12 die Kabinettsvorlage. Am Dienstag, dem 11.12 gegen 20:25 Uhr wurden die änderungsanträge vorgelegt. Am Mittwoch, dem 12. Dezember 2001 tagte der Innenausschuss des Bundestages ab 8:00 Uhr morgens.
Da an diesem Tag auch das Plenum des Bundestages tagt, erhielt der Innenausschuss eine Sondergenehmigung von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Trotzdem regte sich Unmut: das Paket ist sehr üppig und muss einige änderungsanträge über sich ergehen lassen. Obwohl Rot/Grün, wenn nötig, die Nacht durcharbeiten will, einigten sich die Fraktionen auf eine zweistündige Lesepause: Die Mitglieder hatten offensichtlich den Entwurf und die Anträge, aus Zeitmangel, nicht gelesen. Die Abstimmung selbst verlief nicht minder spektakulär: Die Oppositionsparteien ziehen vorher aus dem Ausschuss (selbes gilt auch für die Abstimmung im Rechtsausschuss) und überliessen den Regierungsfraktionen das Feld. Der Gesetzesentwurf wurde im Innenausschuss angenommen.
Am 15. Dezember stimmte der Bundestag mit den Stimmen der Unionsfraktion dem "Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus" zu. Mit der Zustimmung des Bundesrates vom 20. Dezember und der folgenden Unterschrift durch Bundespräsident Johannes Rau hat das Paket zum 1. Januar 2002 Gesetzeskraft.

Damit ist das Thema "Innere Sicherheit" noch nicht von der bundespolitischen Tagesordnung. Bereits Ende 2001 spricht der Berliner Beauftragte für Datenschutz Garstka von einem "Sicherheitspaket III", welches beispielsweise die Aufnahme konkreter biometrischer Daten in Ausweise beinhalten wird. Ebenfalls zu dieser Zeit wurden aus CSU-Kreisen Worte laut, die Bundeswehreinsätze im Inneren befürworten. Dies ist bereits auf der politischen Agenda und wird diskutiert. Aus der bayrischen Union kommt auch die Idee, Terrorismusverdächtigte in speziellen Internierungslagern unterzubringen, eine 24-Stunden Beobachtung koste zu viel Geld.

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