Hintergründe / Das Ausländerzentralregister AZR

Vermessene Ausländer

MigrantInnen gehören zu der am besten überwachten Gruppe von Menschen in der BRD. Mit dem Ausländerzentralregister versucht der deutsche Staat sich an der Totalüberwachung - denn nur bei kompletter Kontrolle kann auch bestmöglich abgeschoben werden.

In den leider viel zu wenig beachteten Antiterrorgesetzen Otto Schilys nach dem 11.9., dem sog. Otto-Katalog, taucht immer wieder ein Begriff auf - das Ausländerzentralregister (AZR). Beheimatet im Bundesverwaltungsamt in Köln-Riehl, ist das AZR die umfangreichste Datensammlung in Deutschland. Von mittlerweile 12 Mio. MigrantInnen werden dort neben den Grunddaten wie Geburtsdatum, Wohnort und Beruf, auch Angaben zum Aufenthaltsstatus, dem Stand des Asylverfahrens, eventuellen Einbürgerungsbestrebungen oder Vorstrafen in ihren Herkunftsländern gespeichert. Außerdem werden aufgrund Ausländergesetz Daten zum Vollzug der Ehe, die Wohnungsgröße, das Maß der erreichten Integration, die genaue Art und Weise des Lebensunterhalts erhoben, gespeichert und ausgewertet, ein kompletter Lebenslauf.
Mit dem Otto-Katalog neu dazu gekommen ist die Religionszugehörigkeit - ein klarer Verstoss gegen die verfassungsmäßig garantierte Religionsfreiheit, heftigst aber erfolglos kritisiert vom Bundesjustizministerium. Desweiteren finden polizeiliche Erkenntnisse den Weg in die Datenbanken.
Nachdem die 1938 eingeführte Ausländerzentralkartei aus kaum verständlichen Gründen einen schlechten Ruf hatte, wurde schon 1953 der Ruf nach “einer verstärkten überwachung der Ausländer im Bundesgebiet“ wieder laut, und ein Neuversuch unter dem Namen Ausländerzentralregister (AZR) unternommen. 1967 wurde das AZR als eine der ersten Datensammlungen auf automatische Datenverarbeitung umgestellt und 1990 auf Betreiben des Bundesamts für die Anerkennung von ausländischen Flüchtlingen (BAFl) die Vereinheitlichung der Länderdatenbanken der Systeme Asyl online (ASYLON) und des AZRs vollzogen.
Eine gesetzliche Grundlage für das Register wurde aber erst mit dem „Gesetz über das Ausländerzentralregister“ (AZRG) im Jahre 1994 geschaffen, welches das AZR im nachhinein legalisiert - vorher gab es einen quasi rechtsfreien Raum, in dem die Daten illegal gesammelt wurden.
Auch die generelle erkennungsdienstliche Behandlung, d.h. die Abnahme von Fingerabdrücken von jedem Flüchtling, einer Behandlung, die bei Inländern nur im Rahmen von Ermittlungsverfahren möglich ist, wurde erst nachträglich in Gesetz gegossen - gleichzeitig wurde 1992 die Fingerabdruckkartei AFIS (Automatisches Fingerabdruck-Identifizierungssystem) gestartet, die ebenfalls mit dem AZR gekoppelt ist. Diese darf inzwischen auch ohne jede Einschränkung für polizeiliche Spurenabgleiche genutzt werden - das heisst im Klartext, dass beim Fund von Fingerabdrücken an einem Tatort diese zunächst mit den 12 Mio. Fingerabdrücken der MigrantInnen abgeglichen werden können. Zur Zeit wird versucht, eine europäisch vereinheitlichte Fingerabdruckdatei mit dem Namen EURODAC zu schaffen.
Weiter aufgestockt werden soll das AZR zum einen durch die biometrischen Merkmale von Hand und Gesichtsform sowie durch Sprachdatenbestände, um besser bestimmen zu können, ob ein Flüchtling tatsächlich aus dem Land kommt, aus dem er vorgibt zu sein. Dieses Verfahren ist nicht nur wissenschaftlich umstritten, sondern führt letztlich dazu, dass ein Sprachwissenschaftler darüber entscheidet, ob ein Mensch Asyl beantragen kann.
Auf die Datenbanken des AZR haben zum einen die Ausländer- und Grenzbehörden Zugriff, aber auch die Auslandsvertretungen, der Bundesgrenzschutz, die Justizbehörden, das Bundeskriminalamt (BKA) und neuerdings mit dem Otto-Katalog auch der Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst. Der Zugriff der letzten beiden ist zusätzlich problematisch, weil dadurch sämtliche Flüchtlinge in das geheimdienstliche Blickfeld geraten. Alle Asyl- und Ausländerbehörden können von sich aus Daten an die Verfassungsschutzämter weitergeben - ohne dass eine spätere Weitergabe der Daten an Verfolgerstaaten ausgeschlossen wäre. Aufgrund eines Beschlusses der Regierungs- und Länder-Innenministerkonferenz hat nach dem 11.9.01 auch das FBI (informellen) Zugriff auf das AZR.
Über eine AZR-Abfrage haben einige Behörden auch Zugriff auf Polizeierkenntnisse, die sie auf direktem Wege von der Polizei nicht erhalten dürften, unter Umständen sogar Arbeitsämter. Es ist ebenfalls nicht ausgeschlossen, dass ausländische Stellen, z.B. das türkische Militär, sich über in der Bundesrepublik lebende Staatsangehörige informieren können.
Umgekehrt sind die AZR-Daten für das BKA komplett einsehbar und werden mit der INPOL-Fahndungsdatei des BKA verknüpft. In dieser Datei werden personenbezogene Daten verarbeitet, soweit es sich um Straftaten mit länderübergreifender, internationaler oder erheblicher Bedeutung handelt. 1982 entfielen von den ca. 200 000 Fahndungsnotierungen in der INPOL-Personenfahndung allein 115000 auf AusländerInnen, die abgeschoben werden oder denen die Einreise verweigert werden sollte.
Über eine sogenannte Gruppenauskunft ist es Polizei und Geheimdiensten möglich, die Daten einer bestimmten Gruppe von MigrantInnen zur Durchführung einer Rasterfahndung (z.B. bei 15-18 jährigen) zu erhalten. Dafür muss noch nicht mal eine konkrete Gefahr im Einzelfall bestehen, es reicht eine abstrakte Gefahr (z.B. aufgrund einer spezifischen politischen Weltlage).
Inwieweit das Ausländerzentralregister langfristig komplett in die europäischen Strukturen eingebettet wird bzw dort aufgeht, lässt sich noch nicht ganz absehen, eine Vereinheitlichung der verschiedenen Datenbanken des AZR mit denen der anderern europäischen Staaten im Schengener Infosystem (SIS) ist jedoch erklärtes Ziel der europäischen Innenminister.

Das Ausländerzentralregister (bzw. das SIS) ist aus vielerlei Gründen wichtig. Als Datensammlung erfüllt es als den Zweck, MigrantInnen in einer Weise zu durchleuchten, die es dem Staat erlaubt, möglichst viele MigrantInnen nach rassistisch-diskriminierenden Merkmalen auszusortieren und abzuschieben. Sei es schon direkt an der Grenze, weil bereits ein Datenbestand vorliegt, der für den Flüchtling negativ ausgelegt werden kann, sei es durch Sprachtests, mit denen ein vermeintlicher „Asylmissbrauch“ nachgewiesen werden soll. Dass mehr als die Hälfte aller Personenfahndungen von BKA mit Hilfe der INPOL-Dateien zur Abschiebung bzw. zur Verhinderung der Einreise ausgelegt sind, macht nochmal deutlich, welchen Stellenwert die Datenbanken für die Abschiebemaschinerie haben - AZR und Schengener Infosystem sind wichtige Bestandteile der europäischen Mauer gegen MigrantInnen.
Darüber hinaus ist die Sonderbehandlung der MigrantInnen darauf ausgelegt, die nationalistische und rassistische Konstruktion von deutsch/nichtdeutsch zu manifestieren.
Die Inanspruchnahme des Grundrechts auf Asyl macht den Menschen zu einem potentiellen Verbrecher. Jeder Schritt, den eine MigrantIn in Deutschland macht, wird überwacht, erfasst und kategorisiert. Bei einem polizeilichen Spurenabgleich sind es die Fingerabdrücke von Flüchtlingen, die zuerst abgeglichen werden. Schliesslich ist „der Ausländer“ kriminell, der Generalverdacht also nur folgerichtig.
Diese institutionelle Diskriminierung, die im AZR angelegt ist, veranlasste 1995 neun Betroffene, beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde einzureichen. Bezeichnend, dass die Verfassungsbeschwerde bis heute nicht verhandelt wurde. Die Bremer Zeitschrift für In- und AusländerInnen „Die Stimme“ fasst es knapp zusammen: „Seit ´53 sammelt der Staat Daten über MigrantInnen, die er über Deutsche nicht sammeln darf.
Da MigrantInnen keine nennenswerte Lobby haben, sind sie ohne weiteres als Opfer zur Erprobung neuer überwachungs- und Datensammlungstechnologien zu gebrauchen. Das betrifft z.B. die Möglichkeiten der Biometrie und ihre Nutzung als Abgleichverfahren bei Kriminalfällen. Für die „deutsche“ Bevölkerung wurde diese aufgrund von Protesten zunächst aufgeschoben - für MigrantInnen gilt sie schon jetzt.

Literatur:

Busch, Heiner - Hart an der Grenze - Technische Aufrüstung für die Abschottungspolitik, in: CILIP 60 (2/98)
FoeBud e.V. - BigBrotherAward der Kategorie "Lebenswerk" an das Bundesverwaltungsamt in Köln für sein Ausländerzentralregister", http://www.bigbrotheraward.de/2000/.life/index.html
Gössner, Rolf - Wenn die staatliche Hochrüstung selbst zu einer Gefahr für die Bürger und ihre Grundrechte wird, Frankfurter Rundschau 05.12.2001
La Grotta, Luigi - Migranten und Datenschutz, in: Stimme, Zeitschrift für In- und AusländerInnen im Lande Bremen (7-8/98)
Weichert, Thilo - Ausländererfassung in der Bundesrepublik, in: CILIP 45 (2/93)

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